Er gehört mittlerweile zum Inventar der Oberliga Hamburg. Und ist gleichzeitig einer der wohl bekanntesten Namen in der Liga. Seine Torquote ist herausragend. 71 Buden waren es 110 Einsätzen in Hamburgs höchster Liga, weitere 20 Tore kommen im Landespokal dazu. Nun geht seine Karriere langsam dem Ende entgegen, beim SV Curslack-Neuengamme wird er in sein wohl letztes Jahr gehen. Die Rede ist natürlich von Marcel von Walsleben-Schied. Für Oberliga.info nahm er sich vor dem Saisonauftakt Zeit, seine lange Karriere Revue passieren zu lassen.
„Das hätte es unter Pagelsdorf nicht gegeben“
Freitag mittag, irgendwo im Hamburger Umland: für Marcel von Walsleben-Schied ist die Welt in Ordnung. Die kleine Tochter liegt im Bett, er selbst genießt die spätsommerliche Sonne im Vorgarten des Eigenheims. Und in wenigen Stunden beginnt die neue Saison, Auftakt beim SC Victoria. Eigentlich kein Zeitpunkt, um ein längeres Gespräch mit der Presse zu führen. „Das hätte es unter Frank Pagelsdorf nie gegeben“, meint von Walsleben-Schied lachend: „Auch sonst im Profibereich nicht. Vor einem Spiel ein Interview zu führen war ein NoGo. Aber in der Oberliga bin ich da gelassener geworden.“ Auch Trainer Christian Woike sieht so einen „Termin“ gelassen: „Die Spieler sind alle alt genug, um das selbst zu entscheiden.“ Eine entspannte Einstellung, die allerdings auch in Liga fünf nicht allgegenwärtig ist. Und so genießt Marcel von Walsleben-Schied die September-Sonne mit dem Telefon am Ohr.
Die ersten Schritte
Begonnen hat die fußballerische Karriere des in Weißenfels (Sachsen-Anhalt) geborenen Schied in der Heimat. Der Vater spielte bei Fortschritt Weißenfels recht erfolgreich und nahm den kleinen Marcel regelmäßig mit zum Training. Und mit sechs Jahren begann dann die aktive Karriere bei Grün-Weiß Langendorf, ehe es nur ein Jahr später ebenfalls nach Weißenfels ging – wie der Vater. Doch dieser war fußballerisch kein Vorbild, wie von Walsleben-Schied heute sagt: „Mein Vater war Verteidiger, ich bin Stürmer. Natürlich hab ich zu Ihm aufgeschaut und viel gelernt, aber meine Fußballvorbilder waren Ulf Kirsten oder Gerd Müller. Eben die Torjäger.“ Und Toreschießen konnte der junge Marcel, ging 1997 ins Internat nach Halle und machte in der Landesauswahl auf sich aufmerksam. So hatte er die Wahl, konnte sich den nächsten Schritt genau überlegen. „Ich hätte auch nach München oder in den Westen gehen können, aber ich hab mich bewusst für Rostock entschieden“, blickt der heute 37-Jährige auf das 1999 zurück.
Der Wechsel nach Rostock und das Debüt im Profifußball
Dass der Wechsel ins Leistungszentrum von Hansa nicht einfach war, daraus macht Marcel von Walsleben-Schied keinen Hehl: „In Halle hatte ich schon manchmal Heimweh und wenig Zeit mit der Familie. Und hier war ich nur knapp 40km von Zuhause weg. Nach Rostock sind es dann mal eben 400km. Das war für einen Jugendlichen wie mich nicht leicht.“ Was hilft ist der Fußball und kicken konnte der Stürmer, auch wenn er sich seiner Defizite bewusst ist: „Ich bin nicht sehr groß. Manche meinen, dass ich keinen guten Schuss hätte. Ich habe in meiner Profi-Laufbahn nie von außerhalb des 16ers getroffen.. Ich bin kein Athlet wie Ronaldo und technisch nicht so versiert wie Messi, aber ich wusste und weiß immer, wo das Tor steht.“ Und so macht von Walsleben-Schied auf sich aufmerksam. Bereits im ersten A-Jugend trainierte er regelmäßig mit der zweiten Mannschaft unter Andreas Zachhuber und kam zu ersten Einsätzen. 2002 ging dann der Traum von Marcel Schied in Erfüllung: am 27. Spieltag wurde er von Trainer Armin Veh erstmals in der Bundesliga eingewechselt und durfte bis Ende der Saison neun Minuten spielen.
Intermezzi in Osnabrück und Unterhaching
In der Folgesaison machte sich von Walsleben-Schied einen Namen in Hansas zweiter Mannschaft. 24 Tore schoss er in 32 Spielen, eine weitere Chance in der Bundesliga erhielt er aber nicht. Hansa setzte im Abstiegskampf auf andere Spieler wie Rade Prica oder Magnus Arvidsson. Um seiner Karriere neuen Schwung zu verleihen, ließ sich der damals 20-Jährige verleihen. Sowohl beim VfL Osnabrück (33 Spiele/12 Tore) wie auch ein Jahr später bei der SpVgg Unterhaching (34/6) war von Walsleben-Schied Stammspieler in der zweiten Bundesliga. Dabei war die zweite Leihe eher eine Notlösung: „Im Sommer 2004 hatte ich Angebote von Clubs mit Ambitionen wie Aachen oder Duisburg. Doch Hansa wollte mich nicht gehen lassen, aber dann hatten sie doch keinen Platz für mich. Und bei den anderen Clubs waren die Kader auch schon voll.“ Bitterkeit spürt von Walsleben-Schied darüber nicht – weder damals noch heute. Stattdessen kehrt er 2005 zu Hansa zurück und wurde unter seinem Förderer Frank Pagelsdorf Stammspieler. Der direkte Wiederaufstieg in die Bundesliga gelang nicht, doch im Jahr darauf gehörte Schied zum Kader, dem der Sprung zurück ins Oberhaus gelang.
Privater Schicksalsschlag und neue Reife
Doch Anfang 2007 ereilt Marcel Schied ein Schicksalsschlag. Seine Mutter, gerade in den 40ern, verstirbt nach kurzer schwerer Krankheit. Der Kopf ist nicht immer frei, dazu werden ihm Konkurrenten vor die Nase gesetzt, die in der Gunst höher stehen. Lediglich zwei weitere Bundesliga-Einsätze folgen, in der Winter gab es die Freigabe. Für von Walsleben-Schied ging es nach Jena, zweite Liga, heimatnah. „Sportlich war es ein Neuanfang“, meint der Stürmer rückblickend: „Aber ich wollte für meinen Vater da sein und ihn unterstützen.“ So zog er zurück nach Weißenfels, bildete mit dem Vater eine WG und pendelte die knappe Autostunde jeden Tag. Diese Zeit hat Marcel von Walsleben-Schied reifen lassen, gelassener werden lassen und ihm gezeigt, dass nicht nur Fußball im Leben wichtig ist. In Jena lief es für ihn persönlich ganz gut (fünf Tore in 17 Spielen), den Abstieg des FC Carl Zeiss konnte er aber nicht verhindern. Dafür ging es im DFB-Pokal ins Halbfinale, wo Carl Zeiss vor 81000 Zuschauern in Dortmund ausschied. „Der Run im Pokal war toll, aber vielleicht hat er auch die nötigen Körner für den Abstiegskampf gekostet“, sieht von Walsleben-Schied die Halbserie mit gemischten Gefühlen: „Aber das Erlebnis in Dortmund war schon toll!“ Nach der Saison folgte er den Thüringern in die dritte Liga, unterschrieb bei Eintracht Braunschweig. Auch hier war der Stürmer Stammspieler, doch der BTSV spielte keine gute Saison und von manchem Fan wurde von Walsleben-Schied als Sinnbild der Braunschweiger Tristesse begriffen. Solche Stimmungsbilder von der Tribüne sieht er aber entspannt: „Manchmal war das ja in Rostock auch, dass die Fans aufgestöhnt haben, wenn ich mal wieder von Anfang an spielte.“ Und ergänzt lachend: „Und heute erzählen sie von den guten, alten Zeiten mit mir als Stürmer.“
„Rostock ist meine Heimat“
Apropos Hansa: 2009 kehrte Marcel von Walsleben-Schied an die Ostsee zurück. Und wurde unter Andreas Zachhuber Stammspieler. Die sportliche Negativserie des FC Hansa konnte er aber nicht verhindern. Nach der Winterpause spielte er unter den Zachhuber-Nachfolgern Finck und Kostmann gar keine Rolle mehr, so dass Schied nur in der zweiten Mannschaft ernsthafte Spielpraxis sammeln konnte. Nach dem Abstieg in Liga drei übernahm Peter Vollmann das Steuer der Hansa-Kogge und machte von Walsleben-Schied zum Stammspieler. Dieser zahlte das Vertrauen mit elf Toren und maßgeblichem Anteil am Wiederaufstieg zurück. Allein der Erfolg war nicht von langer Dauer. Das letzte Intermezzo von Hansa Rostock in Liga zwei war nicht gut, am Ende stieg man als Schlusslicht ab. Und Marcel von Walsleben-Schied kam nur auf 21 Einsätze, die Meisten als Joker. Und so endet das Kapitel „FC Hansa“ nach insgesamt zwölf Jahren in der zweiten Heimat. Wobei von Walsleben-Schied diesen Begriff nicht stehen lassen will: „Rostock ist meine Heimat! Ich bin hier nicht geboren, aber hier wurde ich erwachsen, hier habe ich meine Frau kennengelernt.“ Und heute ist er regelmäßig an der Warnow zu Gast, sei es beruflich oder privat an seinen Lieblingsorten in Warnemünde. Auch Hansa verfolgt er und kann eines nicht begreifen: „Hansa hat so eine tolle Jugendarbeit und mit einem tollen Leistungszentrum. Ich verstehe nicht, wie man so wenig Kapital daraus schlagen kann.“
Aufstieg mit Kiel und ein Fehlentscheidung
Doch zurück zu von Walsleben-Schieds sportlichem Werdegang. Trotz guter Angebote, unter anderem aus Wiesbaden, blieb der mittlerweile 29-Jährige im Norden und schloss sich Holstein Kiel an. „Meine heutige Frau studierte in Rostock“, so von Walsleben-Schied: „Da kam ein Wechsel weg aus dem Norden nicht in Frage. Und von Kiel nach Rostock sind es „nur“ 200km.“ Sportlich lief es in seinem ersten Jahr bei den Störchen, 19 Tore steuerte der Stürmer zum Aufstieg in die dritte Liga bei. Doch dort war er unter dem neuen Trainer Karsten Neitzel nicht mehr gesetzt, so dass der noch laufende Vertrag 2014 aufgelöst wurde. Allerdings nicht auf Betreiben von Schied: „Ich wäre gern in Kiel geblieben.“ Stattdessen ging es zurück nach Mecklenburg-Vorpommern zur TSG Neustrelitz. Eine Fehlentscheidung, wie der Familienvater rückblickend bekennt: „Ich will dazu nicht soviel sagen. In Neustrelitz stellen sie viel auf die Beine für die Regionalliga. Das ist toll. Aber bei mir hat es nicht gepasst.
Glücksgefühle in Dassendorf
So kam das Angebot von TuS Dassendorf genau richtig. Mit 33 Jahren ging es für Marcel von Walsleben-Schied in die Oberliga Hamburg und zurück ins Glück. Nicht nur, dass er hier Berufsausbildung und Sport miteinander verbinden konnte, sondern auch auf dem Rasen lief es. 28 Tore in seiner ersten Saison, jeweils 17 in den beiden Folgejahren. Und auch in der Corona-Saison 19/20 kam er auf 9 Tore – in gerade einmal 607 Einsatzminuten. Grandiose Werte, die mit drei Meisterschaften und zwei Pokalsiegen gekrönt wurden. Da fiel der Kulturschock vom Profitum aufs Dorf nicht so gering aus. Doch beim Wort „Kulturschock“ muss von Walsleben-Schied lachen: „Ja, das ist schon anders, wenn du vorher in einer 100qm-Kabine residierst und jetzt ziehst du dich in der Turnhalle um.“ Und fährt ernsthafter fort: „Ich wusste ja, worauf ich mich einlasse. Ich hab mir Dassendorf und die Gegebenheiten genau angeschaut. Und es hat doch Charme, wenn du dich vor dem Spiel mit den Rentnern auf der Tribüne unterhälst statt abgeschottet zu sein.“ Es passt zu seiner bodenständigen Art. Dass er gerne seine Karriere bei „Dasse“ beendet hätte, daraus macht der 37-Jährige keinen Hehl: „Klar hätte es mich gefreut, das eine Jahr auch noch in Dassendorf zu spielen. Aber die Pläne des Vereins sind halt anders.“ Die Enttäuschung ist schon da. Groll hegt er aber nicht, wie von Walsleben-Schied betont: „Es war eine tolle, glückliche Zeit. Der Verein ist toll, das Umfeld stimmt. Hier macht Fußball Spaß.“
Ehrenrunde bei Curslack
Nach dem klar war, dass sein Vertrag beim TuS Dassendorf nicht verlängert werden würde, war zunächst nicht klar, wie es fußballerisch weiter ging. Mittlerweile war Schieds Tochter geboren, ein weiterer Faktor, welcher in der Zukunftsplanung eine Rolle spielte. Doch Frau Katharina hatte Verständnis, dass Marcel von Walsleben-Schied noch eine Saison dran hängte. Letztlich entschied er sich für den SV Curslack-Neuengamme: „Ich hätte auch woanders nochmal Oberliga spielen können, aber Curslack liegt halt günstig. Dazu sind in Hamburg die Wege nicht so weit.“ Daher will der Stürmer nun den SVCN dabei unterstützen, das „graue Maus“-Image der letzten Jahren aufzupolieren. Ziele hat er sich dabei aber nicht gesetzt.
Angekommen Mitten im Leben
Würde Marcel von Walsleben-Schied in einem zweiten Leben alles anders machen? Vom Stürmer kommt ein entschiedenes „Nein“: „Ich würde alles nochmal so machen. Jeder Schritt hat mich weiter gebracht und reifen lassen.“ Mittlerweile ist er angekommen, heimisch geworden im erweiterten Hamburger Speckgürtel. Mit seiner Frau hat er sich ein Häuschen gebaut und nun hält ihn seine fast 15 Monate alte Tochter auf Trab. „Das ist schon manchmal anstrengend“, lacht der Vater. Denn den KITA-Platz gibt es erst ab Oktober, bis dahin passt Marcel tagsüber auf Tilda-Marie auf. Abends geht es dann ins Büro und auf den Trainingsplatz – da sind die Tage lang und die Nächte kurz: „Das schlaucht ganz schön, die Kleine versteht halt nicht, dass Papa müde ist, wenn er abends spät im Bett ist. Aber es ist halt auch eine tolle Zeit, weil ich viel Zeit mit ihr verbringen kann und darf. Das ist das Beste, was mir im Leben passieren konnte.“ Dass diese Situation nicht alltäglich ist, weiß von Walsleben-Schied aber auch: „Mein Arbeitgeber ist da sehr verständnisvoll. Da bin ich sehr froh drüber.“
Wie ist das mit dem Adler auf der Brust?
Fast eine Stunde dauerte das Telefonat mittlerweile, doch eine Frage musste Marcel von Walsleben-Schied einem ehemaligen Kreisliga-Fußballer noch beantworten. Wie ist denn das so mit dem Adler auf der Brust? – Immerhin war der Stürmer ja Spieler in der U19-, U20- und U21-Nationalmannschaft. „Das Spiel selbst ist gar nicht so anders“, lacht von Walsleben-Schied: „Aber das drumherum ist halt super. Allein was du vom DFB für Klamotten bekommst, ist für einen jungen Mann schon Wahnsinn. Und klar, wenn du auf dem Platz stehst und die Nationalhymne hörst, ist das auch was besonderes.“ Mit der U19 nahm er 2002 an der EM teil: „Das war schon eine tolle Mannschaft. Mit Philipp Lahm, David Odonkor oder Moritz Volz zusammen zu spielen, Fernando Torres oder Iniesta als Finalgegner zu haben, ist shcon geil. Kann nicht jeder von sich behaupten.“ Abgehoben ist er deshalb nicht, die Erinnerung ist dennoch schön. Was es sonst noch über Marcel von Walsleben-Schied zu wissen gibt, erfahrt ihr im Oberliga.info-Fragebogen.
Fragebogen Marcel von Walsleben-Schied
Name: Marcel Schied
Geburtstag: 28.07.1983
Geburtsort: Weißenfels
Größe: 1,72
Position: Stürmer
Trikotnummer: 25
Verein: SV Curslack-Neuengamme
Ehemalige Vereine: Grün-Weiß Langendorf, Rot-Weiß Weißenfels, VfL Halle 96, Hansa Rostock, VfL Osnabrück, SpVgg Unterhaching, Carl Zeiss Jena, Eintracht Braunschweig, Holstein Kiel, TSG Neustrelitz, TuS Dassendorf
Privat mache/ bin ich gerne: Rasenmähen, Gartenarbeit
Lieblingsessen: Ente mit Rotkohl und Klößen
Lieblingsgetränk: Eierlikör
Lieblingsmusik: Schlage, Malle-Hits
Lieblingsfilm: Gibt es keinen
Lieblingsort: Warnemünde
Haustiere: Katze Walter
Meine Vorbilder in der Jugend: Ulf Kirsten, Gerd Müller
Mein schönstes Erlebnis im Sport: DFB-Pokalhalbfinale mit Jena, Aufstiege mit Kiel und Rostock, Zeit in Dassendorf
Ich möchte mit meinem Team und auch persönlich in Zukunft folgendes erreichen: Ich setze mir keine Ziele mehr.
Trainingsmotto: Keins
Von wem ich gerne mal trainiert werden möchte: Eduard Geyer, für ein oder zwei Konditionseinheiten
Ich habe eine(n) Freund(in) (Ja oder Nein): verheiratet